"Jedes Kind kann schlafen lernen?" oder Was ist intuitive Erziehung?

Während unseres Urlaubs in der Heimat saßen wir einen Morgen mit unseren Nachbarn bei einem gemeinsamen Frühstück im Garten. Irgendwann fiel das Thema auf Kindererziehung und meine Nachbarin mit zwei erwachsenen Kindern erzählte, dass ihre Kinder lange bei ihnen im Bett geschlafen hatten. „Da haben wir vielleicht auch einiges falsch gemacht, vor allem in den Augen anderer!“ Sagte sie dann. Und da war es, mein Lieblingsthema. Das schlechte Gewissen von Eltern, die ständige Sorge in der Erziehung etwas falsch zu machen. Und die Meinung Anderer über die Erziehung der eigenen Kinder. Meine Kinder sind 9 Jahre und 5 Jahre alt. Ich bin Pädagogin und systemische Therapeutin mit einigen Weiterbildungen und doch würde man meine Erziehungsmethoden wahrscheinlich nicht in den klassischen Fachbüchern für Kindererziehung finden. 

Meine Kinder wurden nach Bedarf gestillt, schliefen (auch aus Bequemlichkeit) neben oder zwischen uns. Sie hatten Schnuller, „mussten“ Gläschen-Nahrung essen. Meine Kinder hatten weder eine Kuscheldecke, noch ein Lieblingskuscheltier und darüber bin ich heilfroh, weil ich bei Ausflügen oder Reisen nie an solche Sachen gedacht habe. Meine Kinder konnten früh aus einer richtigen Flasche trinken, denn auch die Becher oder Trinkflaschen habe ich regelmäßig zu Hause liegen gelassen. Fernsehen war nie tabu für meine Kinder, genauso wie andere Medien. 

Ich habe keine Bücher zum Thema Einschlafen oder Durchschlafen gelesen, auch wenn Beides ein großes Thema mit meinem Sohn war. Ich habe auch nicht überprüft, ob die Fähigkeiten meiner Kinder mit dem jeweiligen Entwicklungsmonat übereinstimmten. All das habe ich nicht getan, weil ich mich auf meine Intuition verlassen habe, zumindest überwiegend. Mein Mann und ich verlassen uns bei der Erziehung darauf, was sich für uns richtig anfühlt. Wir handeln nach Gefühl und nicht nach dem, was andere sagen oder wie andere erziehen. Das heißt nicht, das wir uns immer mit allem sicher sind oder unsere Erziehungsmethoden nicht auch in Frage stellen. Doch wir beide sind uns sicher, dass Erziehung nur funktionieren kann, wenn es sich für uns Eltern richtig anfühlt. 

Ein Einschlafprogramm mit meinem einjährigen Sohn? Das kam für mich nicht in Frage, denn ich wusste, dass ich es nicht hätte durchhalten können. Mit Nahrung ab 5 Monaten beginnen? Hätte ich gerne durchgeführt, nur leider hat mein Sohn sich gar nicht für Essen interessiert, stattdessen wollte er für ein Jahr lang gestillt werden. 

Warum ich hier nur Beispiele von meinem Sohn aufzeige? Weil meine Tochter das „Super-Baby“ war. Sie war meistens gut drauf, hat wenig geweint, hat schnell gelernt sich alleine zu beruhigen. Sie war mit vier Monaten an richtiger Nahrung interessiert und ließ sich problemlos abstillen. Daher mussten wir bei ihr nicht viel darüber nachdenken, ob unsere Erziehung nun richtig war. Durch ihre Entwicklung und ihren Charakter hat sie uns als neue Eltern sehr viel Selbstbewusstsein gegeben. 

Durch meinen Sohn habe ich dann gelernt, dass das Verhalten meiner Tochter wohl eher mit ihrem Charakter, als mit unserer Erziehung zu tun hatte. Unser Sohn fordert uns in unserer Erziehungshaltung deutlich mehr heraus. Er ist ein Dickkopf und stur in seiner Haltung. Erziehung mit ihm war also von Beginn an eine Herausforderung. Das Verhalten unseres Sohnes fordert meinen Mann und mich heraus regelmäßig im Gespräch zu sein, unsere Haltung und unsere Erziehung zu hinterfragen. Doch es kommt immer wieder darauf zurück, dass wir das tun, was sich für uns richtig anfühlt.

Doch so zu handeln, ist nicht immer einfach, denn Elternsein ist nicht einfach. Eltern, vielleicht sogar noch mehr wir Mütter, sind den kritischen Blicken der Gesellschaft ausgesetzt. Großeltern, die es besser wissen, Freunde, die einen wissen lassen, dass sie deine Erziehung oder Entscheidungen kritisch sehen. Ratgeber, Erzieher, Lehrer, Ärzte, die alle etwas zu unseren Kindern zu sagen haben. Aber auch andere Mütter, die hart mit einem ins Gericht gehen. Da kommen dann die Fragen, wie „Ach, der dreht sich noch nicht, mit XY Monaten?“ Oder „Wie der schläft immer noch nicht durch?“ Oder „Ach, du benutzt Gläschen und kochst nicht selber?“ 

Solche Fragen und Anmerkungen führen dazu, dass der Druck auf Eltern erhöht wird. Vergleiche zwischen Kindern sorgen dann noch für zusätzlichen Druck und Unsicherheiten bei Eltern.

Ich hatte häufig Eltern in der Beratung, die mich nach meiner Meinung zu einem bestimmten Ratgeberbuch befragten oder meine Meinung zu einer bestimmten Erziehungsmethoden wollten. Darauf musste ich beichten, dass ich keine Ratgeberbücher gelesen habe. Und auch nie eine bestimmte Methode probiert habe. Das hat verschiedene Gründe, der wichtigste für mich: Ich weiß, dass ich mich nicht an eine Methode halten würde, dass ich ein Programm nicht durchziehen würde. Es passt einfach nicht zu meiner Person. Es ist nicht die Art der Erziehung, die sich für mich richtig anfühlt. Das heißt aber nicht, dass ich jegliche Ratgeberbücher ablehne, das ich Erziehungsmethoden generell ablehne. Ich empfehle Eltern immer, sich neues Wissen anzueignen. Ich berate sie zu ihren Fragen. Und in all den Ratgebern, in den Theorien und Methoden stecken wichtige und interessante Tipps, die für viele Eltern hilfreich sein werden. Aber vielleicht nicht für jeden. 

Nicht jeder Erziehungstipp eignet sich für jedes Kind, für jede Familie. Und manchmal sind zu viele Meinungen und Tipps nicht hilfreich, sondern eher hinderlich und führen zu Verunsicherungen bei Eltern. Zuviel „Sie müssen“ führt dazu, dass wir die Fähigkeit verlieren unserer Intuition zu vertrauen. Sich verbissen an einem Schlafprogramm festzubeißen, kann dazu führen, dass Eltern und Kind müde und unglücklich sind und das Gefühl haben (also die Eltern) versagt zu haben, wenn das Kind immer noch nicht durchschläft. Ein Fokussieren auf eine bestimmte Methode kann dazu führen, dass das Wesentliche aus dem Blick verloren wird, nämlich die Beziehung zwischen Eltern und Kind. Durch die Bindung, die sich zwischen uns und unseren Kindern entwickelt, lernen wir unsere Kinder zu verstehen, wie es sonst keinem möglich sein wird. Wir spüren oft genau, was unser Kind in welcher Situation braucht. Wir Eltern wissen, wie sich das Weinen unseres Babys anhört, wenn es müde oder hungrig ist. Denn all das ist unsere Intutiton. Und bei den meisten Eltern ist diese Intuition gut ausgeprägt.

Natürlich wäre es schön gewesen, wenn mein Sohn schon eher hätte einschlafen oder durchschlafen können. Es wäre auch schön gewesen, wenn er nicht so lange gebraucht hätte, bis er nachts nicht hätte zu uns ins Bett kommen müssen. Und ich hätte mich sehr gefreut, wenn ich nicht ein Jahr voll gestillt hätte. Aber, wie auch die meisten Kinder, hat mein Sohn alles zu seiner Zeit gelernt. Und wenn ich mir seinen Charakter anschaue, macht es Sinn, dass er lange gestillt werden wollte. Und es macht Sinn, dass er lange Zeit brauchte, bis er alleine in den Schlaf gefunden hat und nachts nicht mehr zu Mama und Papa ins Bett kriechen musste. Denn während er tagsüber ein kleiner wilder Junge war/ist, merkten wir abends, dass er noch sehr viel Sicherheit (=kuscheln und Nähe) brauchte. Auch heute noch kommt er zu uns ins Bett gekrochen, wenn in seiner kleinen Lebenswelt etwas passiert ist, was ihn verunsicherte. Aktuell der Umzug und der Abschied von seinen Freunden in Frankreich. 

Was ich damit deutlich machen will, ist, dass das Verhalten unserer Kinder durchaus Sinn macht, auch wenn es für uns manchmal störend, anstrengend oder beunruhigend ist. Für mich ist es dann wichtig mich auf mein Gefühl zu verlassen und gewisse Dinge zu hinterfragen. Habe ich das Gefühl, dass ich wieder klarere Regeln einführen muss? Oder braucht mein Kind gerade wieder etwas mehr Zeit zu zweit, ein Ritual, einen klareren, strukturierteren Rahmen? Was sind die äußeren Umstände? Hat sich etwas an unserem Alltag verändert? Was ist die Lebenswelt meines Kindes? Gab es Veränderungen wegen Schule, in der Familie, bei den Eltern?

Ich erinnere mich an eine Zeit ca. 1 Jahr nachdem wir in Frankreich waren. Da weinte mein Sohn plötzlich beim Abschied in der Schule. Er klammerte sich an mich fest und weinte so herzerreißend, dass ich am liebsten mitgeweint hätte. Für ihn war es in dem Moment das Schlimmste von mir getrennt zu werden. Dieser Zustand hielt eine Woche an, er weinte jeden morgen, egal ob ich ihn brachte oder mein Mann. Und jeden Morgen fühlte ich mich elend. Ich sprach also mit meinem Mann, mit den Lehrern und einer Freundin. Ich sammelte Ideen, wie ich mit seinem Verhalten umgehen sollte. Nach einiger Zeit wurde mir klar, dass mein Sohn gerade mitten in einer großen Entwicklung angekommen war. Er sprach immer besser französisch und hatte sich nach einem Jahr Gegenwehr endlich eingelassen. Er stellte vermehrt Fragen zum Leben, zur Entwicklung von Kindern, seiner Geburt. Sein Verhalten veränderte sich, er verabredete sich, wurde „unabhängiger“. Und mein Eindruck war, das diese Entwicklung ihm selber Angst gemacht hat, dass seine emotionale Entwicklung noch etwas mehr Zeit brauchte, um hinterherzukommen. Danach konnte ich sein Weinen anders einordnen, konnte anders auf ihn eingehen und fühlte mich dann selber auch anders, weniger hilflos.

Wenn ich sage, dass ich auf meine Intuition vertraue, heißt das nicht, dass es bei uns zu Hause keine Regeln gibt oder das meine Kinder machen dürfen, was sie wollen. Aber es sind vielleicht nicht die Regeln, die ihr für eure Kinder habt oder die meine Schwestern für ihre Kinder haben. Das ist auch normal, denn wir sind alle anders. Wir legen auf unterschiedliche Sachen wert. Und unsere Kinder sind anders und brauchen alle etwas anderes. 

Ich bin nach der Geburt meines Sohnes ganz klar auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. Während ich mit meiner Tochter dachte, dass ich die Erziehung eines Kindes ziemlich drauf habe, musste ich mit meinem Sohn erleben, dass der selbe Einsatz, die selben Massnahmen meinerseits bei meinem Sohn nicht wirkungsvoll waren. Er braucht mehr Nähe, mehr Anleitung, mehr Rahmensetzung mit Regeln und deutlich mehr Durchatmen meinerseits. „Niemals“ war eines seiner ersten Worte und nach dem Motto hat er auch gehandelt (oder eben nicht). Während ich mit meiner Tochter mit klaren Ansagen gut arbeiten konnte, schaue ich bei meinem Sohn, welche Kämpfe ich ausfechte oder wo ich einfach mal ein Verhalten „nicht gesehen“ habe. Dabei bleibe ich dem treu, was mir wichtig ist. Ein gutes Sozialverhalten, Rücksichtnahme auf Mitmenschen und gute Manieren- auch wenn die noch ausbaufähig sind.

 

Fällt es mir leicht immer auf meine Intuition zu hören? Ein klares Nein. Es gibt immer wieder Phasen der Verunsicherung, so wie es sicherlich allen Eltern geht. Und ich hinterfrage mich und mein Verhalten oft. Dennoch bin ich meistens sicher in dem, wie ich erziehe. Und wenn ich es nicht bin, dann tausche ich mich aus. Hole mir Tipps von anderen, höre mir deren Ideen an oder was ihnen geholfen hat, immer mit dem Wissen, dass deren Meinung, deren Umgang nicht meiner sein muss. Dennoch kann es hilfreich sein, sich auszutauschen, sich fachlichen Rat zu holen. Doch wie in vielen Bereichen ist es auch mit der Kindererziehung: ein „One fits all“ passt auch bei Erziehungstipps nicht. Doch manchmal hilft es schon zu wissen, das ein kindliches Verhalten in bestimmten Altersgruppe oder Lebensphasen normal sein kann. Das Kinder nicht 24/7 dem Verhalten entsprechen können, das die Gesellschaft gerne von ihnen sehen würde.

Ich bin mir zum Beispiel sicher, das meine Kinder (okay vor allem mein Sohn) dem ein oder anderen Lehrer einige Schweißperlen auf die Stirn rufen wird, weil Regeln für ihn nicht da sind, um sie fromm zu befolgen, sondern eher zum verhandeln. Dennoch bin ich weiterhin sicher, dass sein Dickkopf und sein Selbstbewusstsein ihm langfristig hilfreich sein werden.  

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