„In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister“ oder Unsere Zeit im „Confinement“

Confinement, das Wort des Jahres 2020 in Frankreich? 

Zumindest ist es eines der einschneidendsten Erlebnisse, die wahrscheinlich viele in Frankreich lebenden Menschen hatten. Confinement heißt übersetzt Beschränkung/Ausgangssperre und genau das haben wir in Frankreich für acht Wochen erlebt. 

 

Acht Wochen „Hausarrest“, Homeoffice, Schule zu Hause. 

Außerhalb unseres Hauses durften wir uns nur im Umkreis von einem Kilometer für eine Stunde am Tag aufhalten, sowie fürs Einkaufen. Immer dabei, ein ausgefüllter Zettel mit dem Grund für das Verlassen des Hauses, sowie der Uhrzeit.

Acht Wochen ohne soziale Kontakte, nur mit der Familie. Zugegeben eine Horrorvorstellung für mich und so fühlten sich dann auch die ersten Tage an; bis sich meine Einstellung veränderte. Von der ersten Schockstarre und Panikattacke, wie ich meine Kinder acht Wochen bespaßen soll ohne sie non-stop vor dem Fernseher sitzen zu lassen, veränderte ich meine Haltung und meine Gedanken zu: „Das ist jetzt die Situation, machen wir das Beste daraus.“ Und das haben wir alle gemeinsam versucht.

Während Papa im Homeoffice im Gästezimmer arbeitete, haben die Kinder mit mir gemeinsam ihre Schulaufgaben bewältigt. Der Alltag war klar strukturiert, mit festen Zeiten fürs aufstehen, arbeiten, Mahlzeiten, Freizeit und Sport. Diese Struktur hat uns, vielleicht vor allem mir, geholfen motiviert zubleiben. Die Kinder haben die Situation schnell akzeptiert und waren (zum Glück) motiviert an ihren Schulauf-gaben zu arbeiten. Jeden Tag nutzten meine Mann und ich die Stunde „Ausgang“ für einen gemeinsamen Spaziergang mit dem Hund, unsere Auszeit von den Kindern und unsere Zeit in Ruhe miteinander zu sprechen. Der Großeinkauf einmal die Woche war mein Social-Event. Der Hund wurde für die Kinder plötzlich zum besten Freund. Neue Rituale wurden in die Familie eingeführt, wie der Pizza-Movie-Freitag. Ein Ritual, das bei uns auch nach der Ausgangssperre weiterhin zelebriert wird. Mein Mann und ich begannen ein gemeinsames Sportprogramm, was sich als eine Wohltat für die psychische Verfassung herausgestellt hat.

Ich weiss, dass wir in einer glücklichen Lage waren. Wir haben zu der Zeit in einem Haus mit ausreichend Platz und einem Garten gelebt. Das Wetter, das uns monatelang bis zum Confinement nur Regen beschert hatte, war die gesamten acht Wochen ein vorgezogener Sommer. Sicherlich ein Glück für die psychische Verfassung vieler Menschen.

Was sind meine Lehren von den acht Wochen?

1. Wir halten als Familie zusammen, vor allem wenn es schwierig wird und können lange Zeit miteinander verbringen, ohne uns an die Gurgel zu gehen.

2. Kinder sind so anpassungsfähig. „Wegen Corona“ war irgendwann die Erklärung der Kinder für alles, was mit Einschränkungen zu tun hatte.

3. Der Mensch ist in der Lage sich und seine Bedürfnisse (für einige Zeit) zurückzuschrauben.

4. Meine Kinder halten zusammen, wenn es darauf ankommt und können sich gut alleine beschäftigen.

5. Ich weiss, dass ich mich glücklich schätzen kann und dass es nicht in allen Familien und für alle Menschen so harmonisch und entspannt lief.

 

So positiv ich auch von den acht Wochen berichte, die Einschränkung war für alle eine Belastung und hat Spuren hinterlassen. Ich habe einiges über mich gelernt. Vor allem, dass die Ungewissheit über Dauer und Entwicklung der Situation für mich nur schwer auszuhalten war.

Da die Verlängerungen der Ausgangssperre immer nur für zwei Wochen ausgesprochen wurden, hatten wir das Gefühl, die Situation werde endlos weitergehen und ein Ende sei nicht in Sicht. Das Verfolgen der Nachrichten ist nach wie vor eine Belastung. All die „was, wäre wenn..“ oder Drohungen darüber, was passiert, wenn die Infektionen wieder steigen, machen mich persönlich sehr rat- und rastlos. Vor allem die Schulsituation beängstigt mich. Die Freude der Kinder, als sie wieder zur Schule konnten, auch von meinem Sohn der Schule als eher störend empfindet, waren ein deutliches Zeichen für mich, wie wichtig der Schulbesuch und die damit verbundenen sozialen Interaktionen für unsere Kinder sind. Die Freude meiner Kinder über die ersten Kontakte mit Freunden, waren wirklich berührend.

Ich bin kein Mensch, der mit Ängsten oder Panikattacken zu kämpfen hat. Doch Corona hat meine Gedanken unruhiger werden lassen. Der Blick auf die nahe Zukunft lässt mich Stress auf einem Level verspüren, der mir neu ist. Ich erlebe, wie meine Gedanken mit mir durchgehen, worst-case Szenarien durch-gespielt werden müssen, um das Gefühl zu haben, auf alles vorbereitet zu sein. Mit dem Wissen, dass ich natürlich nicht auf alles vorbereiten sein kann.

Dennoch muss ich die Gedankenspiele manchmal durchlaufen, denn es gibt mir ein Gefühl von Kontrolle. Es gibt mir das Gefühl nicht überrollt werden zu können, von politischen Entscheidungen, die mein/unser Leben komplett auf den Kopf stellen.

Die Vorbereitung auf Szenarien hilft mir mich mit dem „was, wäre wenn“ frühzeitig auseinanderzusetzen. Dadurch habe ich persönlich die Chance mir Strategien zurecht zu legen und mich gedanklich mit den möglichen Herausforderungen zu beschäftigen. Dies hilft mir mich nicht überfordert zu fühlen, sondern vorbereitet.

Neben dem ganzen Kopfkino sorge ich jedoch immer wieder auch dafür im Hier und Jetzt zu sein. Denn zu viel über die Möglichkeiten der Zukunft nachzudenken, kann eher hinderlich sein, als unterstützend. Dann nämlich, wenn die Gedanken ins große Ganze abdriften. Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Kinder, die Jugendlichen, die in dieser Zeit aufwachsen? Was bedeutet der fehlende Unterricht für die Ausbildung und Entwicklung unserer Kinder? Welche psychischen Auswirkungen werden wir in den nächsten Jahren bei den Menschen beobachten und welche Auswirkung haben sie? 

Was mir dann hilft? Vom großen Ganzen aufs Kleine zurückzukommen. Auf die Dinge, auf die ich einwirken kann, die ich kontrollieren kann. Ich kann nicht jedes Kind unterrichten, alle Familien in ihren Alltagssorgen unterstützen oder dafür sorgen, dass die Auswirkungen auf die Menschheit nicht zu groß werden.

Ich kann „nur“ kontrollieren, wie die Pandemie auf meine Familie wirkt. Ich kann sicherstellen, dass meine Kinder sich sicher fühlen, dass sie ihre Lernerfolge in der Schule auch zu Hause erreichen. Ich kann kontrollieren, das ich für mich und meine Familie eine Situation schaffe, die ihre Strukturen und Stabilität sicherstellen. Ich kann meine Gedanken und meine Stimmung kontrollieren und dadurch meine Reaktion auf das Ungewisse. Und wenn ich das schaffe und aufrechterhalten kann, habe ich viel gewonnen.

Kontrolle ist einer der wichtigsten Punkte in traumatischen Situationen. Und die Pandemie kann für Menschen zu einer traumatischen Situation werden bzw. geworden sein, durch Verluste von Familienangehörigen, Verlust des Arbeitsplatzes und einer damit einhergehenden Existenzangst, den Überlas-tungssituationen durch die unzureichende Versorgung durch die Pandemie

Kontrollverlust in traumatischen Situationen verschärft das Erleben der Situation und erschwert eine positive Verarbeitung des Erlebten. Erhält ein Mensch aber Kontrolle, durch Aufklärung oder Handlungsanweisungen, Leitlinien und das Gefühl etwas verändern zu können, wird er mit der Situation deutlich besser umgehen können.

Daher ist es für mich wichtig mir Gedanken zu den Möglichkeiten zu machen, denn sie geben mir Handlungssicherheit. Ich besinne mich auf das, was ich beeinflussen und gestalten kann, denn alles andere liegt außerhalb meiner Kontrolle. In dem Rahmen, den ich gestalten, in dem ich handeln kann, fühle ich mich sicher. Und wenn ich mich sicher fühle, kann ich dieses Gefühl auch an meine Mitmenschen weitergeben.

 

 

 

 

Ich würde mich über erneute Schulschließungen und eine erneute Quarantäne nicht freuen (vor allem in Paris lebend), aber ich weiß, dass meine Familie und ich die nötigen Strategien entwickelt haben, um diese Zeit gemeinsam zu bewältigen.

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